Hallo Rückenruth,
bitte entschuldige meine späte Antwort - irgendwie kam die Benachrichtigung über die neuen Beiträge im Thread bei mir nicht an.
Weisst Du, ich habe mir in den letzten Jahren recht viele Gedanken gemacht. Mein Körper hat immer seine Schwachstellen gehabt, und ganz lange gab es keine Erklärung dafür. Da hat man sich natürlich mit verschiedenen Erklärungsansätzen auseinandergesetzt und versucht, für sich Antworten zu finden. Und man ist mit vielen Erklärungsansätzen anderer Menschen konfrontiert worden, und so manche davon haben sich so gar nicht passend angefühlt und gar kein gutes Gefühl geweckt. Manche gab es auch, die mit großer Überzeugung vorgetragen wurden, aber die statt zu Verbesserungen zu Verschlechterungen geführt haben. Ich bin da schon recht kritisch geworden und habe versucht, zu verstehen, was der Hintergrund dieser verschiedenen Ratschläge ist und wie gerechtfertigt sie eigentlich sind. Und ja, die Diagnose war für mich auch insofern eine Erleichterung, weil es mir einen ganz neuen Respekt gegenüber den Leistungen meines Körpers gebracht hat, ein stärkeres Vertrauen in meine Fähigkeit, mich selber einzuschätzen, und die Freiheit davon, der Norm entsprechen zu müssen.
Für mich ist in den letzten Jahren folgendes ganz wichtig geworden: Menschen sind unterschiedlich, und weder die Medizin noch eine andere Wissenschaft weiss alles. Unser Wissen ist unvollständig, und jede Therapieempfehlung beruht auf unvollständigem Wissen. Selbst, wenn eine Therapieempfehlung einer Mehrzahl an Menschen hilft, kann man daraus nicht schliessen, dass sie einem einzelnen Menschen helfen wird, denn Therapieempfehlungen orientieren sich am Durchschnitt, und es kann auch immer Outlier geben. Und wenn die Therapieempfehlung einem einzelnen Menschen nicht hilft, dann darf man es sich nicht so leicht machen, anzunehmen, man würde die Gründe dafür schon kennen (wie mangelnde Compliance, psychische Belastungen oder Ähnliches). Man kann in andere Menschen nicht hineinsehen, und wenn man will, dass sich die Wissenschaft und die Medizin weiterentwickelt, dann ist es besser, keine vorschnellen Erklärungen anzunehmen, sondern dann ist es besser, genau hinzuschauen. Vor allem finde ich es ethisch und psychologisch wirklich problematisch, wenn man in solchen Fällen eine Eigenverantwortung bzw. eine Schuld impliziert.
Ich denke, so gut wie jeder Mensch wird in seinem Leben früher oder später die Erfahrung machen, dass körperliche Beschwerden kommen und man geduldig mit seinem Körper sein, Schwachstellen annehmen und das Leben anpassen muss. Auch ich kenne das, dass ich immer die Zähne zusammengebissen habe und vieles noch möglich gemacht habe - das geht aber mit bestimmten Erkrankungen nicht mehr, weil man sich damit ggf. weitere neurologische Verletzungen und Verschlechterungen einfängt, da muss man wirklich lernen, die Grenzen des Körpers zu erkennen und zu respektieren. Das ist natürlich eine Umstellung und auch ein Verlust. Man braucht Zeit, um die neue Realität kennenzulernen (und eine Dokumentation, was gut tut und was nicht, kann dabei wirklich helfen). Man braucht Kreativität, um das, was nicht mehr geht, zu ersetzen mit anderen Dingen, die einem Freude machen und das Leben bereichern. Man braucht manchmal auch ein dickes Fell, um sich über externe Erwartungshaltungen hinwegzusetzen, und das Selbstbewusstsein, dem eigenen Körperempfinden mehr zu vertrauen als den Empfehlungen anderer (denn, wie gesagt, man kann vieles ausprobieren, aber nicht jede Therapieempfehlung hilft jedem).
Zur Zeit lese ich das Buch "Die Gesundheitsdiktatur" von Professor Peter Nawroth. Im Prinzip geht es dabei im Kern um ein anderes Thema, aber ich denke, manches daraus kann man übertragen. Er stellt die Frage, inwiefern die Studienlage es denn überhaupt hergibt, dass man mit gesundem Leben Erkrankungen vermeiden könne, oder ob das nicht eher auf einer Illusion der dauerhaften Gesundheit beruht und einen moralischen Druck aufbaut, den die Studienlage nicht hergibt und der eigentlich ethisch bedenklich ist. Ich gebe ihm da wirklich recht.
Ich finde es wichtig, seinen Frieden mit seinem Körper zu machen und nicht gegen ihn zu kämpfen. Er leistet unter schwierigen Bedingungen Enormes, auch, wenn er damit vielleicht nicht alle Erwartungen von außen erfüllt. Und gerade im Bereich Wirbelsäule, wenn mechanische Einflüsse Nervenwurzeln oder gar das Rückenmark bedrängen und verletzen können, finde ich es sehr wichtig, diese Grenzen zu respektieren. Schutz von Nervenstrukturen hat für mich Vorrang, denn Nervenstrukturen - vor allem das Rückenmark - sind nicht gut regenerationsfähig. Da ist weniger oft mehr. Ich weiss, das ist nicht einfach, wenn man sonst alles wegtrainiert hat. Das geht in diesem Bereich nicht unbedingt.
Ob ich das Kriterium, ob die Schmerzen aus der Peripherie in den Rücken zurückgehen, so unterschreiben kann, weiss ich ehrlich gesagt nicht - auch da würde ich Dir raten, Deinen Körper gut zu beobachten, ob Dir das gut tut, auch in den zwei Folgetagen (denn manches tritt verzögert auf), und im Zweifel eher auf Deinen Körper zu hören als auf das Buch. Für mich ist das Hauptkriterium, ob etwas Ausfallerscheinungen triggert, und die sind teilweise auch schmerzfrei.
Und ja, diese zwei Sätze würde ich absolut so unterschreiben:
Zitat
Erst jetzt beginne ich zu begreifen, was es wirklich heißt, Freundschaft mit dem eigenen Körper zu schließen.
Es ist eine Lebensaufgabe tatsächlich auf den Körper zu hören und dabei das Leben weiter aktiv zu gestalten, um mit den eigenen Grenzen umzugehen.