Hallo Martina, Hallo Ihr Lieben!
Zitat
was mit den anderen segmenten denn nach so einer versteifung so passiert,würde mich schon interessieren.
- genau Thinka, das Thema ist spannend und wird selten vom Operateur angesprochen!
Ich (LWS-Fraktion) habe mich von Anfang an mit dieser Frage beschäftigt und einige Infos zusammengetragen.
Leider ist es sehr kompliziert und ich weiß nicht, ob es mir gelingt, zumindest im Ansatz
die Ursachen für eine Anschlussdegeneration (-Instabilität) nach einer Spondylodese verständlich darzustellen - aber ich versuche es trotzdem mal mit meinen einfachen Worten:
(finde ich einfach sinnvoller als Texte, wie die Folgenden, die man locker aus verschiedenen Studien kopieren kann!)
Zitat
Eine der wenigen biomechanischen Studien zum Verhalten der Nachbarsegmente stammt von Quinnell und Stockdale aus dem Jahr 1981. Sie weisen in den beiden Segmenten unterhalb einer Fusion eine signifikant veränderte Lastverformungskurve nach, während die
beiden kranial angrenzenden Segmente keiner signifikanten Veränderung unterworfen
werden.
Dabei ist das der Fusion direkt anliegende Segment stärker betroffen und bildet
einen Schutz für die weiter entfernt liegenden Segmente.
Die Autoren fordern daher, daß vor einer Fusion der Zustand der benachbarten Bewegungssegmente z. B. durch eine Diskographie untersucht werden sollte (Quinnell et al., 1981).
oder dieses:
Eine Analyse von Schäden in den benachbarten Segmenten einer Fusionsstrecke nach einer
symptomfreien Latenz von durchschnittlich 8,5 Jahren ergibt als häufigste Folge (16/18)
die degenerative hypertrophische Arthritis der Facettengelenke. Weitere negative Effekte
auf das Nachbarsegment sind die Spinalkanalstenose (8/18), schwere degenerative Bandscheibenläsion (5/18), degenerative Spondylolisthesis (2/18) und Spondylolysis acquisita
(1/18). Ein Bandscheibenprolaps im Nachbarsegment wird nicht beobachtet (Lee, 1988).
oder das hier:
Es besteht die weit verbreitete Meinung, daß die Mobilität in Nachbarsegmenten von
Spondylodesen kompensatorisch erhöht ist (Frymoyer et al., 1979; Grob et al., 1987; Ha
et al., 1993; Schlegel et al., 1996). Eine Arbeit, die das Bewegungsausmaß anhand von
seitlichen Röntgenfunktionsaufnahmen vor und nach Diskektomie zu verifizieren versucht,
stellt heraus, daß kein signifikanter Unterschied zwischen der prae- und postoperativen
Situation existiert (Fink et al., 1996).
Ebenso ist in den Nachbarsegmenten eine kompensatorische Hyperlordose neben hypolordotisch
fusionierten Wirbelsäulenabschnitten zu registrieren. Dies führt zu steigenden
Scherkräften in diesen Segmenten und damit zu forciertem Versagen in der benachbarten
Ebene. Daher hat die postoperative Lordosekrümmung der praeoperativen zu entsprechen
(Umehara et al., 1996).
Alles klar?? Hää??
Also - ich versuchs mal:
Unsere Wirbelsäule mit ihren 24 Wirbeln ist ein komplexes (und kompliziertes) System, nur durch das hochkomplizierte Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile dieses Systems ist eine uneingeschränkte und schmerzfreie Beweglichkeit möglich, die z.B. Torsion, Flexion, Traktion und Rotation heißen...
Das ganze System besteht z.B. aus
Wirbelkörpern,
Querfortsätzen,
Dornfortsätzen,
Facettengelenken,
vorderen und hinteren Bändern,
Sehnen,
Hebel- und Scherkräften (durch Lordose- und Kyphosewinkel!)
Muskeln...
und dies Alles in Abhängigkeit von der Höhe der Wirbelkörperzwischenräume (=Zustand der BS!)
des Ernährungszustandes des Körpers insgesamt (Flüssigkeitshaushalt!)
dem Körpergewicht & Allgemeinzustand...
*ürgs*
Und all das wirkt nach einem wirklich schwer zu verstehenden - weil hochkompliziertem - Prinzip zusammen - nur wenn das gesamte System sauber arbeitet, die Biomechanik also stimmt, bleiben die Einzelteile funktionstüchtig - etwa wie bei einer komplizierten Maschine, bei der auch kein einzelnes Rädchen im Getriebe defekt sein sollte.
Ist also ein Einzelteil angeschlagen, funktioniert das ganze System nicht mehr richtig -
und im Umkehrschluss gilt, dass ein defektes System die Einzelteile auf Dauer kaputt macht!
Wir erhalten unsere gewohnte und schmerzfreie Rückenbeweglichkeit nur, wenn keine Störung auftritt - mal abgesehen von der natürlichen Degeneration, welche das Alter mit sich bringt...
Sobald einer der o.g. Faktoren eine Störung dieses Systems verursacht (z.B. ein Hohlkreuz oder fehlende Rückenmuskulatur...oder auch eine Skoliose) ist das System in sich sofort gestört und es kommt schnell zu irreparablen Dauerschäden!
Dies hat auf lange Sicht schlimme Auswirkungen, z.B. verändert sich durch ein Hohlkreuz (=Hyperlordose) die gesamte Statik der Wirbesäule, durch Fehlbelastung bzw. Schonhaltung verkürzen sich Muskeln und Bänder... d.h. die Bandscheiben degenerieren vorzeitig - es kann zu einer Protusion/einem BSV oder anderen Symptomen (Muskelblockaden, ISG-Schmerzen u.a.) kommen.
Hierzu muss man wissen, dass die bekannte
S-Form der Wirbelsäule ein
ganz wichtiger Faktor für die natürliche Funktion der Wirbelsäule ist!
Der lumbale und der thorakale Übergang wirken in enger Abhängigkeit zueinander (Hebel- und Scherkräfte!).
Nur so ist die Abfederung durch das
S gewährleistet, welche verhindert, dass sowohl die Bandscheiben - als auch alle anderen beteiligten Strukturen - vorzeitig abnutzen/erkranken.
(Die Bandscheibe selbst ist natürlich durch ihre Pufferfunktion (Gallertkern) ein ebenso wichtiger und unabdingbarer "Stoßdämpfer"!)
Mal angenommen, ein Bandi läßt sich wegen eines Wirbelgleitens oder einer Instabilität aufgrund seiner degenerierten Bandscheiben über 2 Segmente/Etagen versteifen - egal, ob LWS, HWS o. BWS.
(evtl. hat unser Bandi auch bereits eine oder mehrere Nukleotomien hinter sich...)
Ihm werden 2 Titanstangen und 6 Pedikelschrauben implantiert, die Wirbelzwischenräume bekommen Titan- oder Carboncages, welche mit Knochenspan aus dem Beckenkamm gefüllt werden - oder er bekommt nach Cloward einen Dübel aus Knochenspan eingestetzt, welcher innerhalb der ersten 3 Monate fut verknöchert - oder er wird noch zusätzlich verplattet - ganz egal, ist ja jetzt nur ein Beispiel.
Welche Folgen hat diese Versteifungsstrecke nun für das o.g. System?1. der Lordosewinkel (der untere S - Bogen der WS) ist nach der OP in den allermeisten Fällen geringfügig verändert - auch wenn der Operateur noch so erfahren ist...die Statik stimmt folglich nicht mehr!
2. das so wichtige Zusammenspiel des unteren und oberen S - Bogens der Wirbelsäule ist nicht mehr gewährleistet - aufgrund der Versteifungsstrecke (hier fehlende Elastizität!):
3. Die Arbeit aller weiteren beteiligten Strukturen (wie Bänder, Muskeln und Facetten) passt sich nun den veränderten Bedingungen an,
was besonders für die Übergänge unter und über der Versteifungsstrecke von Bedeutung ist!Sie haben nun die Hauptlast der fehlenden Abfederung zu tragen!
Dieses lässt die lumbalen und thorakalen Übergänge und besonders die Segmente direkt über uind unter der Versteifungsstrecke vorzeitig degenerieren bzw. es entsteht wegen dauernder extremer Mehr/Über/Fehlbelastung sehr schnell die nächste Baustelle!
Besonders dann, wenn die betroffenen Etagen über und unter der Fusionsstrecke vor der OP schon nicht mehr ganz intakt waren, ist eine Anschlussdegeneration vorprogrammiert!(Daher wird vor einer Versteifungs-OP auch in der Regel eine Diskografie durchgeführt - um zu schauen, wie viel versteift werden muss - bzw. in welchem Zustand die benachbarten Etagen sind.)
So simpel, wie ich es hier versucht habe zu beschreiben, ist es allerdings bei Weitem nicht, die Überbelastung der Facettengelenke, der Bänder (und des ISG) kommen nach der Spondylodese ebenso zum Tragen wie mangelnde Elastizität des versteiften Segmentes durch das Implantat (wodurch der natürliche Knochenstoffwechsel gestört wird - eine weitere Abnahme der Elastizität der versteiften Etagen.)
Wie man diese Anschlussinstabilität verhindert?
Wer dieses Problem wirklich löst, wird mit Sicherheit sehr viel Geld damit verdienen können - wenn er es geschickt anstellt!
Wir können durch -
lebenslang - rückengerechtes Verhalten im Alltag, einem moderaten Aufbau unserer Rücken- und besonders der Bauchmuskulatur(!!) einen wichtigen Beitrag dazu beitragen, dass die Nachbarsegmente nicht vorzeitig degenerieren - und das ist unser Part!
(ebenso wie das entsprechende Verhalten in der Heilungsphase nach der OP, damit eine optimale Verknöcherung erzielt wird!

)
Eine BS-Prothese direkt über meiner Versteifungsstrecke verhindert bei mir, dass die Etage über der Fusionsstrecke extrem überbelastet wird (hoffe ich zumindest) - eine relative Beweglichkeit ist ja möglich. (Jedoch hört man auch von Anschlussinstabilitäten nach Implantation einer BSP)
Da ich bis S1 versteift bin, besteht nach unten hin keine wirkliche Gefahr einer weiteren Instabilität - das Steiß- und das Kreuzbein sind ja von Natur aus miteinander versteift.
Der Druck der Versteifungsstrecke (Implantate) ist für mich trotzdem extrem spürbar (Schraubstockgefühl) - ich denke, es ist somit nur eine relative Sicherheit - in der ich mich allerdings trotzdem sehr gerne wiege...
Ich würde mich freuen, wenn sich andere Versteifte mit ergänzenden Erklärungen melden, um das Ganze dadurch vielleicht noch etwas verständlicher zu machen.
(Mir fällt es generell recht schwer, komplexe Zusammenhänge einfach darzustellen - dafür sorry!

)
LG
von der Tigerente
Marlies