Hallo Jutta,
das cervicomedulläre Syndrom und Instabilitäten C0-C2 sind leider Themen in der Medizin, die noch nicht so gut erforscht sind. Zum Glück tut sich in den letzten Jahren in der Forschung (u.a. in den USA) einiges dazu, aber bis das als breites Wissen etabliert ist, wird es voraussichtlich noch dauern...
Ich denke, zu Missverständnissen kommt es dann, wenn Ärzte folgende Denkweise haben:
- Nur dauerhafte, markante Kompressionen des Rückenmarks können Rückenmarks-Symptome auslösen
- Schäden des zentralen Nervensystems sind in jedem Fall im MRT sichtbar und messbar
- Die Neurologie ist nur zuständig, wenn Nervenstrukturen dauerhaft messbar geschädigt sind
- Was nicht in diese Kategorien fällt, hat automatisch psychische Ursachen
Wenn man dann aber in die Forschung oder neuere Fachbücher schaut oder Vorträge von Ärzten hört, die Forschungsinteresse zu diesen Themen haben, dann sieht das ganz anders aus:
- Wiederholte Kompressionen durch eine Instabilität, Distorsions- oder Dehnungsverletzungen und Liquorflussstörungen können ebenfalls Symptome verursachen. Dazu braucht es allerdings andere Diagnostik und Erfahrung, um die Diagnostik zu beurteilen, und diese Diagnostik ist noch nicht weit verbreitet.
- Distorsions- und Dehnungsverletzungen bzw. Diffuse Axonal Injury muss nicht mit Ödemen oder Einblutungen einhergehen und ist daher im MRT ggf. nicht sichtbar. Aktuelles Beispiel: Kopfverletzungen bei Footballspielern, die unter dem Mikroskop nach dem Tod klar sichtbar waren, aber im MRT zu Lebzeiten nicht sichtbar waren. Interessant ist auch, dass es diverse medizinische Publikationen von Fallberichten gibt, in denen Instabilitäten, v.a. C0/C1, teilweise jahrelang übersehen wurden, und die darauf hinweisen, dass dies sehr schwer zu diagnostizieren ist und man dies nicht vorschnell ausschliessen darf.
- Prävention dauerhafter Schäden wäre eigentlich sehr wichtig, zumal das Rückenmark nicht gut regenerationsfähig ist. Eigentlich sollte nicht das Ziel sein, einen dauerhaften Schaden auszuschliessen und dann das Thema als irrelevant abzutun, sondern festzustellen, ob positionsabhängige Störungen von Nervenstrukturen bestehen
- In der Vergangenheit wurde vieles in der Medizin als psychisch bedingt angesehen, und heute weiss man es besser: Asthma, Magengeschwüre, Epilepsie, Migräne,... Dass überhaupt körperliche Symptome eine rein psychische Ursache haben können (ohne, dass eine noch unbekannte körperliche Schwachstelle besteht, an der man eine Behandlung ansetzen könnte) ist eine Theorie, die man nicht falsifizieren kann (was ja eigentlich in der Wissenschaftstheorie ein wichtiges Prinzip ist und Wissenschaft ausmacht) - es sei denn, die Medizin wäre vollständig erforscht, für alles stände Diagnostik zur Verfügung und die Diagnostik würde vollständig eingesetzt werden. Die Frage ist: Wenn das so wenig belegbar ist, ist es dann ethisch gerechtfertigt, Patienten deswegen weitere Diagnostik zu verwehren und in den privaten Lebensbereich der Patienten (psychosoziale Aspekte) einzugreifen? Im Bereich der seltenen Erkrankungen oder auch atypischer Ausprägungen häufiger Erkrankungen ist das Problem der "Psychosomatisierung" bekannt. Ich würde mir wünschen, dass sich eine breitere Öffentlichkeit und vor allem auch die medizinische Ethik dafür interessiert.
Schwindel ist ein sehr, sehr komplexes Symptom, das viele, auch kombinierte, Ursachen haben kann. Peripherer Schwindel ist dabei noch das Übersichtlichste. Wenn Schwindel zusammen mit weiteren Symptomen auftritt, dann sollte ein Arzt aber zentralen Schwindel in Erwägung ziehen (wo wir dann an dem Punkt sind, an dem eine Nystagmusdiagnostik hilfreich sein kann). Und gerade im Zusammenhang mit dem zervikomedullären Syndrom sind wir da wieder in einem Bereich, der noch nicht gut erforscht ist...
Reizüberflutung berichten viele mit der Symptomatik. Wenn man bedenkt, dass im Hirnstamm so einiges an Nervenbahnen verläuft, auch zum Hören, zur Augenkoordination etc., ist das eigentlich auch kein Wunder...
Forschung zum zervikomedullären Syndrom kommt übrigens unter anderem aus dem Bereich der Forschung zur Chiari Malformation. Da werden an selber Stelle, aber mit anderer Ursache (Tiefstand des Kleinhirns) Symptome ausgelöst.
Viele Grüße,
odysseus
P.S.: Noch ein Disclaimer hinterher: Ich habe keinen medizinischen Hintergrund, sondern mich nur privat in diese Themen eingearbeitet. Weil mir zu Beginn meiner Odyssee andere Betroffene aber sehr weitergeholfen haben, will ich das, was ich mir inzwischen angelesen habe, auch gerne weitergeben.