Bandscheiben-Forum

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> Tatort Wirbelsäule
Harro
Geschrieben am: 04 Jan 2017, 17:25


Internet-Tramp
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Gruppe: Administrator
Beiträge: 12.906
Mitgliedsnummer.: 49
Mitglied seit: 08 Dez 2002




Moin moin zusammen,
da mal wieder so einige am überlegen sind, sich an der WS operieren zu lassen
muss ich doch mal ein Interview der Zeit als Link setzen


Rückenschmerzen: Tatort Wirbelsäule
Viele Deutsche leiden unter Rückenschmerzen und legen sich in ihrer Not unters Messer.
Und wissen nicht, was sie tun. Werden Sie Zeuge eines anonymen Gesprächs unter Ärzten.
Den passenden Link dazu: Klicks.

Viel Spass bei der Lektüre, Harro :hair :winke
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odysseus
Geschrieben am: 05 Jan 2017, 12:19


Boardmechaniker
***

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Beiträge: 360
Mitgliedsnummer.: 5.969
Mitglied seit: 21 Jun 2006




Hallo,

darf hier zum Artikel diskutiert werden?

Ich bin mir dessen bewusst, dass das ein sehr umstrittenes Thema ist und sicherlich nicht jeder meiner Meinung ist. Ich habe den Artikel eben gelesen und würde gerne meine Gedanken dazu teilen, wenn das in Ordnung ist? Es handelt sich dabei um meine persönliche Meinung.

Im Artikel werden einige Probleme genannt, die zweifellos bestehen: Bildgebung und Beschwerden des Patienten korrelieren oft nicht - da gibt es Patienten mit deutlichen Befunden im MRT und CT, die kaum Beschwerden haben, und da gibt es Patienten, bei denen nichts zu sehen ist und die starke Beschwerden haben. Es gibt finanzielle Anreize bei den Ärzten, die in die falsche Richtung führen können. Das Gesundheitssystem ist in verschiedene Spezialisierungsbereiche aufgegliedert, und nur selten wird interdisziplinär gearbeitet. Der Zusatzaufwand für interdisziplinären Austausch unter den Ärzten wird üblicherweise nicht honoriert. Und wir leben in einer Gesellschaft, in der die Illusion verbreitet ist, jedes Gesundheitsproblem lasse sich schnell und einfach beseitigen und mit einer OP sei alles gut.

Allerdings ziehen die diskutierenden Ärzte daraus Schlüsse, die letzten Endes Glaubenssache sind und nicht gesichert sind, weil sie nicht gesichert werden können. Und die Schlüsse, die daraus gezogen werden, halte ich zum Teil für problematisch.

Wenn Bildgebung und Symptome des Patienten nicht korrelieren, dann ist nicht die einzige mögliche Antwort, dass dann die Symptome nur durch Stress und psychische Belastung ausgelöst sein können. Zu sagen: "Das kann nur stressbedingt sein, da sollte man nicht weiter untersuchen" führt dazu, dass diese Annahme erst gar nicht mehr widerlegt werden kann. Aber wer sagt, dass diese Annahme richtig ist? Wäre nicht eine mögliche andere Antwort, dass es Verletzungsmechanismen und -arten gibt, die im herkömmlichen MRT nur schwer oder gar nicht dargestellt werden können oder noch unzureichend erforscht sind, man also insgesamt erst recht genauer hinschauen sollte?

Zum Beispiel sind Instabilitäten bildgebend sehr schlecht darzustellen, da es dabei nicht dauerhaft zu einer Fehlstellung kommt und jede Bildgebung ja eine Momentaufnahme ist. Hinzu kommt, dass es in manchen Bereichen keine klar gesicherten und gut evaluierten Werte gibt, welches Ausmass an Bewegung normal ist und welches nicht. In der Forschung passiert im Moment einiges; so gibt es zum Beispiel inzwischen Hinweise darauf, dass Dehnungs- und Distorsionsverletzungen des Rückenmarks ebenfalls Symptome auslösen können (nicht nur Kompression), aber im normalen MRT nicht unbedingt darstellbar sind. Histologisch sind solche Verletzungen allerdings erkennbar, und auch neue bildgebende Verfahren wie DTI-Bildgebung, die aktuell noch erforscht werden, könnten dazu in der Lage sein, diese Verletzungen darzustellen. Zumindest korrelieren in vielen Bereichen die Ergebnisse der DTI-Bildgebung besser mit den Beschwerden der Patienten als normale MRT-Bildgebung.

Ich finde es jedenfalls sehr bedenklich, wenn die Tendenz in die Richtung geht, Patienten erst einmal abzuweisen und mit ihrer Körperwahrnehmung nicht ernst zu nehmen. Man darf nicht vergessen, dass im Bereich des Rückenmarks einiges auf dem Spiel steht und schlimmstenfalls dauerhafte Schädigungen entstehen können. Eine Wirbelsäule ist kein Knie, hier steht viel mehr auf dem Spiel! Bedenklich finde ich ebenfalls, undifferenziert Training trotz Schmerz zu verordnen. Gerade bei Instabilitäten ist Schmerz ein wichtiges Warnsignal, das weitere Schäden verhindern kann. Es ist wichtig, gut zu differenzieren, um welche Art von Schmerz es sich handelt, und nicht alles über einen Kamm zu scheren. Vereinfachungen von komplexen Sachverhalten führen selten zu guten Ergebnissen.

Zu guter letzt darf man nicht vergessen, dass auch für Ärzte die Fälle, in denen sie nicht wissen, wie sie helfen können, frustrierend sind und zudem nur unzureichend vergütet werden. Da kann es auch für den Arzt die einfachste Lösung zu sein, den Patienten abzuschieben und sich für nicht zuständig zu erklären, weil Symptome nur stressbedingt seien. Da besteht die Gefahr, dass Ärzte unbeabsichtigt voreingenommen sind, dass Bias entsteht.

Fazit:

Eine OP ist kein Allheilmittel. Die Medizin weiss vieles noch nicht und es besteht noch viel Forschungsbedarf. Die Chancen einer OP sind um so besser, je genauer verstanden wird, wie Symptome entstehen. Muskelaufbau ist, wenn irgend möglich, so oder so wichtig - um eventuell eine OP zu vermeiden und um die Chancen einer OP zu verbessern. Eine OP ist die letzte Option, wenn man mit konservativen Methoden nicht weiterkommt.

Aber es wäre wichtig, klare "red flags" zu haben, Warnzeichen, bei deren Auftreten eine OP notwendig ist, um dauerhafte Schäden zu vermeiden. Diese "red flags" gehen leider oft unter, wenn Symptome vorschnell auf die Psyche geschoben werden und zur Nicht-Diagnostik geraten wird, und das kann mindestens so schädlich sein wie vermeidbare oder unnötige OPs. Man kann auf jeder der beiden Seiten vom Pferd fallen.

Viele Grüße,
odysseus
PM
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