Ich heiße Uwe, bin 38 Jahre, habe
einen Engel von Frau an meiner Seite, die mich immer wieder aus den Tiefs
holt oder mich da begleitet und wurde am 22.10.2000 aus dem Berufsleben
gerissen.
Wir zogen gerade um und weil zwar viele Leute Hilfe versprachen und sie
nicht einhielten, transportierten wir trotzig die Möbel allein. Es kam,
was kommen musste. Ich als 1,90m Mensch in stark gebückter Haltung am
kurzen Ende musste nach dreiviertel der Wegstrecke durch's Treppenhaus ein
verrutschendes Möbelstück in eine sichere Lage bringen und konnte mich
fortan kaum noch bewegen. In den ersten zwei Wochen wurde ich folgerichtig
vom Hausarzt mit Schmerzmitteln und Stufenbettlagerung versorgt, weil eine
typische Ischialgie vermutet wurde. Nach zwei Wochen mit weiterer
Verschlimmerung folgte die fachorthopädische Weiterbehandlung, während
der Röntgenaufnahmen und ein CT angefertig wurde. Es zeigten sich flache
Vorwölbungen an typischer Stelle (L4/L5 und L5/S1). Ich galt fortan als
"Diskus-Patient" und erhielt 10 Cortison-Injektionen als
Wurzelblockade
(so Pi mal Daumen und ohne CT Unterstützung). Eine neurologische
Untersuchung fand ebenso wenig statt wie eine Blutkontrolle des Cortisons
wegen, was sich als fataler Fehler erwies.
In der Folge wurde ich verschiedenen Kliniken ambulant vorgestellt für
eine OP-Indikation. Die aber wurde nicht gesehen und es wurde statt dessen
forcierte konservative Therapie mit Krankengymnastik vorgeschlagen. Die
allerdings wurde aufgrund extremer Schmerzzunahme gleich am ersten Tag von
der Therapeutin abgebrochen und man empfahl mir dringend einen stationären
Krankenhausaufenthalt zur Abklärung.
Den erzwang ich mir dann vier Monate später, indem ich mir einfach selbst
einen Termin in einer Fachklinik für Orthopädie in Wuppertal holte und
den derzeitigen Orthopäden vor vollendete Tatsachen stellte. Am
19.02.2001 erfolgte dann die vorstationäre Untersuchung, bei der man
Zweifel an einer OP-Indikation zeigte. Mir wurde eine stationäre Aufnahme
angeboten, erweiterte Diagnostik und Schmerztherapie mit Tübinger und Göttinger
Infusionen (ein Gemisch aus Cortison und Vitaminen) sowie zusätzlich
Wurzelblockaden mit Cortison, die ich auch tapfer über mich ergehen ließ.
Am zweiten Tag "flog" ein Konsilneurologe vorbei, prüfte oberflächlich
die Reflexe und befragte mich dann nach meinem Befinden. Man antwortet in
solchen Fällen mit Dingen, die gerade beschäftigten - glücklich
verheiratet, Ziele vor Augen und ein paar Probleme mit der
Unfallversicherung. Ich dachte mir einfach nichts böses dabei. Ich sollte
dann noch einige Schritte laufen, was ich schmerzbedingt aber nicht
konnte. Nach fünf Minuten war der Neurologe wieder verschwunden, was
selbst meine Frau als Laie überraschte. Am Folgetag wurde ich entlassen,
da man dort nichts weiter für mich tun könne. Im vorläufigen
Entlassungsbericht stand etwas von verabreichten Schmerz-Infusionen und
eine Empfehlung zur neurologischen Abklärung.
Von dem Tag an veränderte sich
der Umgang nachbehandelnder Ärzte. Ich kann mich noch gut an den
Neurologen erinnern, den ich direkt nach der Entlassung aufsuchte. Da die
Entlassungsberichte noch nicht schriftlich vorlagen, ließ er sie sich zunächst
faxen und teilte mir dann mit, das er nichts für mich tun könne. Mit
meinem Hausarzt besprach ich dann die weitere Vorgehensweise und stellte
mich einem
Chirurgen mit orthopädischer Weiterbildung vor. Der schlug eine
Cortison-Therapie in Form von Wurzelblockaden vor, die ich wieder tapfer
über mich ergehen ließ.
Tapfer deshalb, weil das enorm schmerzhaft war. Nach fünf Injektionen
brach er die Behandlung erfolglos ab und überwies mich an ein
Fachkrankenhaus für Neurochirurgie zur weiteren Abklärung. Hier belächelte
man etwas, das eine "Bandscheibe" Gehhilfen brauchte (nach einer
sehr schmerzhaften Wurzelblockade konnte ich keinen Schritt mehr ohne
gehen) und empfahl Wurzelblockaden mit Cortison, die ich dann aber nun
ablehnte. Zurück zum Hausarzt besprachen wir eine Vorstellung bei einem
örtlichen Schmerztherapeuten, der..... Wurzelblockaden mit Cortison
empfahl. Ich ließ das nochmals über mich ergehen, weil ich nicht als
"bockiger Patient" eingestuft werden wollte. Die Behandlung dort
wurde von mir dann auch abgebrochen, als ich den Therapeuten immer
seltener antraf und zunehmend häufig auch keine Rezepte für
Schmerzmittel bekam. Er war Anästhesist und arbeitete zu 70% in einem
Krankenhaus und betrieb die Praxis so nebenbei.
Etwa im März 2001 suchte ich eine weitere Neurologin auf, um eine
objektive Diagnose zu bekommen. Hier wurden erstmals Hinweise auf ein
Wurzelirritationssyndrom festgestellt. Die Neurologin konnte mich aber
nicht weiterbehandeln, da ihre Praxis bereits zu viele Patienten betreut
(das ist hier in einer ländlichen Umgebung leider so) und ich begab mich
wieder in die Hände meines Hausarztes. Zufällig erfuhr ich dann von
meiner Schwiegermutter den Namen einer Neurologin, die als glänzende
Diagnostikern galt. Die sah gleich beim ersten Besuch bereits bestehende
neurologische Ausfälle im linken Bein (Peroneus Parese etc.) und sah mich
als dringend operationsbedürftige Bandscheibe. Messungen wurden hier
nicht durchgeführt, da sie das auch so sehe und wenn ein mitbehandelnder
Arzt Fragen habe, könne er sie ja anrufen. Sie habe erhebliche Probleme
mit den Kassen und müsse halt Kosten sparen.
Sie überwies mich mehrfach in eine Fachklinik für Neurochirurgie, in der
sie selbst ehemals tätig war. Hier wurden von verschiedenen Ärzten
unterschiedlichste Aussagen getroffen. Es blieb aber dabei, es besteht
keine OP-Indikation.
Im November erstritt sich besagte Neurologin einen stationären
Aufnahmetermin in dieser Klinik, die sie direkt mit dem Chefarzt besprach.
Ich sollte wieder einmal operiert werden. Hier jedoch zeigte die präoperative
Laboruntersuchung einen Blutzuckerwert von 599mg%.
Nach Akutversorgung mit Insulin wurde ich am Folgetag vertrauensvollin die
Hände eines Diabetologen entlassen. Zu diesem Zeitpunkt begannen erste
Kribbelparästhesien in beiden Beinen, die Schmerzen wurden ausgeprägter
und meine gehbare Wegstrecke wurde immer kürzer.
Misstrauisch forderte ich mit Hilfe einer Anwältin die kompletten
Krankenunterlagen für die stationäre Behandlung im Februar. Hier zeigte
sich, das bereits dort ein erhöhter Blutzuckerspiegel festgestellt wurde
und auch Glukoseausscheidungen im Urin (die Nierenschwelle war überschritten
und in dem Fall wird Glukose über die Niere ausgeschieden, was in Spätfolge
bei Nichtbehandlung zu Nierenschäden
führt). Das war allerdings mit keinem Wort im Entlassungsbericht erwähnt
worden und was entscheidenden Einfluß auf die nachfolgende Behandlung
gehabt hätte. Lediglich der Laborbefund zeigte die Auffälligkeit. Statt
dessen fand ich etwas anders im Entlassungsbericht. Der Konsilneurologe
hatte dort wörtlich schreiben lassen: Herr Berger ist von etwas
wehleidiger Natur und ist gedanklich auf eine Entschädigungsleistung
seiner Unfallversicherung fixiert.
Das also war der Grund für die mangelnde Energie nachbehandelnder Ärzte,
die sich diesen Bericht stets zufaxen ließen (mir lag er schlicht nicht
vor).
Am 20.11.2002 also mehr als ein Jahr danach suchte ich nochmals die
Neurologin auf, die mich aufgrund der Patientenschwemme nicht
weiterbehandeln konnte und ich bat sie um eine solide Diagnostik.
Das Ergebnis ist folgend:
Bei der motorischen Nervenleitgeschwindigkeitsmessung des N. peroneus
links konnten keine Potentiale trotz elektronische Aufsummierung eruiert
werden.
Im N. tibialis anterior links zeigten sich verzögerte Parameter. Im N.
suralis
links waren jedoch keine Potentiale eruierbar. Bei der
elektromyographischen Exploration fanden sich im M. tibialis anterior und
M. gastrocnemius links einzelne Fibrillationen ohne
Dennervierungspotentiale.
Diagnose:
Polyneuropathie
Chronisches Wurzelirritationssyndrom L4/S1 links.
Ich schreie vor Schmerzen, wenn ich Rumpfbewegungen ausführe, schlafe
nachts vielleicht ein- oder zwei Stunden und wandere den Rest der Nacht
geplagt durch die Wohnung. Die sensiblen Ausfälle nehmen zu, ich stürze
sehr häufig, weil ich nicht spüre, wohin ich laufe. Ich kann wöchentlich
zuschauen, wie meine laufbare Wegstrecke geringer wird. Selbst kleinste
Erschütterungen verursachen stark stechende einschießende Schmerzen. Das
linke Bein brennt, als läge es im Feuer.
Das alles wird mehr oder weniger im Rezeptverfahren mit Kapanol 20mg ret.
versorgt,was vorne und hinten nicht reicht.
Ich beginne mal von vorn mit den bisherigen Therapien:
In den ersten Monaten Valoron-Tropfen und Tramal Tropfen (4x20 Tr.)
Danach Diclofenac in Kombination mit Novaminsulfon (4x50mg Diclo und 4x20
Tr. Nova).
Danach folgte eine Neurontin-Therapie (ein- und ausschleichend).
Danach eine mit Antidepressiva (Remergil?) die für mich am schlimmsten
war, weil ich wie ein lebender Toter durch die Welt lief.
Nach all den Monaten bettelte ich dann das erste Mal um Morphin, weil ich
einfach nur ein paar Stunden ohne Schmerzen leben wollte. Das Gefühl nahm
aber im Laufe der Monate zu, von einem Arzt zum nächsten weitergereicht
zu werden ohne Chance auf eine qualifizierte Behandlung. Wie gesagt, ich
lebe ländlich...........
Die BFA möchte mich liebend gern in eine psychosomatische Reha schicken,
weil das damit alles besser wird... wie mir mitgeteilt wurde. Die
allerdings lehnte ich ab. Wenn mir in dem Zustand ein "Weichspüler"
(sorry) vor die Augen tritt, ich weiß nicht was ich täte. Ich bin selbst
ausgebildeter Krankenpfleger (aber einige Jahre raus, deshalb ist mir das
mit dem Cannabis auch gänzlich unbekannt gewesen) und weiß, das ich mich
selbst vom Schmerz trennen und mich ablenken muss. Das mache ich... so
weit es möglich ist.. mit konzentrierten Übersetzungsarbeiten, leichten
Hausarbeiten und mit der Betreuung eines großen Internet-Portals
(Netzsicherheit - mein Steckenpferd).
Alles in allem besitze ich eine starke Persönlichkeit und bilde mir ein,
bewußt und verantwortungsvoll mit der Erkrankung umzugehen. Ich lebe in
einer glücklichen Umgebung und war bis zum 22.10.2000 beruflich
erfolgreich und angesehen bei meinen Kollegen. Mit fehlen also jegliche
Argumente, um ein psychosomatisches Leiden darin zu sehen.
Ich habe mich dennoch in all den Monaten bemüht, ein positiv denkender
Mensch zu bleiben, was mir mehr oder weniger gut gelingt. Meine Frau tritt mir hin und wieder kräftig vor's Knie, wenn
die Zuversicht mal wieder den Bach hinab fließt. Ich habe mir in all der
Zeit ein Ziel gesetzt, anderen Menschen bei diesem Weg zu helfen und ich
nutze dabei meine beruflichen Erfahrungen schamlos aus (auch wenn sie mir
selbst nicht so viel gebracht haben).Ich durfte das große Glück erleben, einige Jahre bei einer Krankenkasse
zu arbeiten und ironischerweise zuletzt in der Regressabteilung -
Fachbereich "ärztliche Behandlungsfehler". Ich kenne mich recht
gut im SGB aus und weiß öfter mal, welche Türen man kräftigst
eintreten muss, um Gehör zu finden.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ich in Eurer Gemeinschaft aktiv am
Miteinander teilnehmen dürfte.
Tja, das ist meine Geschichte....
Ich berichte solche Dinge zwischenzeitlich weitgehend emotionslos.
Ich besitze etwas Stolz und zeige nicht das typische Bild eines
Schmerzpatienten, sondern bewahre Haltung und schildere die Beschwerden
sachlich, was wohl mein Fehler ist.
Die teils entwürdigenden Vorstellungen beim MDK habe ich mir gespart,
weil sie vermutlich jeder Schmerzgeplagte in der Art erlebt haben
wird.